Der Rheingauer Bauernkrieg von 1525

von Archivdirektor Dr. Wolf - Heino Struck

Teil 1

Eine charakteristische Episode des Bauernkriegs von 1525 bilden die damaligen Ereignisse im Rheingau. Im allgemei­nen Bewußtsein leben sie wohl vor allem durch die Verse weiter, in die ein Zeitgenosse die Stimmung bei ihrem un­glücklichen Ausgang kleidete, wie sich bei jedem Schaden der Spott einstellt. Sie sind durch drei Gewährsmänner auf uns gekommen. Am vollständigsten ist der Text der Abts­chronik von Kloster Eberbach, die dort der Pater Johann Schäfer um 1600 - 1618 verfaßte:

Da ich einmal ein Kriegsmann was
und auf dem Wacholder saß,
trank zu Erbach aus dem großen Faß,
wohl schmeckt mir das.
Sieben Gulden die Örthen was.
Wie bekam mir das?
Wie dem Hund das Gras.
Der Teufel gesegnet mir das.

Johann Mechtel, Stiftsdekan in Limburg, bringt in seiner Limburger Chronik von 1610/12 aus dortigen annalistischen Aufzeichnungen von Georg Emmel (+ 1538) folgende Verse als „Sprichwort":

Hoho, Herr Abbas, drei Finger im Salzfaß.
Nun sagt mir, was die Urthe was
zu Eberbach bei dem großen Weinfaß.
Sieben Gulden es dir was,
der Teufel riet und gesegnet mir das.

Der Fortsetzer der Mainzer Chronik um 1600 kennt, ebenfalls als „Sprichwort", die Verse in dieser Form:


Als ich auf dem Wachholder saß
da tranken wir aus dem großen Faß.
Wie bekam uns das?
Als dem Hund das Gras.
Der Teufel gesegnet uns das.


Zwei Dinge sind diesen drei Fassungen gemeinsam: der Trunk aus dem großen Weinfaß und die Bezeichnung des Unternehmens als Teufelswerk, wobei die Limburger Variante dadurch bemerkenswert ist, daß der Teufel den Trunk nicht nur gesegnet, sondern sogar geraten hat. Die Eberbacher und Limburger Fassung nennen auch den Preis der Örthe oder Urthe, d. h. der Zeche: 7 Gulden. In der Tat war dies die Höhe der Strafe, die jede Haushaltung des Rheingaus nach dem Aufstand zu zahlen hatte. Die Limbur­ger Chronik fügt hinzu, daß damals 1 Viertel Wein 7 - 8 Hel­ler kostete. Da 7 Gulden (beim Wert von 1 Gulden = 24 Schilling und von 1 Schilling = 12 Heller) mehr als 2000 Heller darstellen, ist allerdings der Trunk aus dem großen Faß teuer bezahlt. Der Eberbacher Text bedenkt noch mit besonderem Spott die Tatsache, daß man damals als Kriegsmann auftrat.

Die in diesen Versen zum Ausdruck kommende Stimmung war nach dem Bauernkrieg weit verbreitet. Man hat bisher hier nicht beachtet, daß es ähnliche Verse auch aus der Pfalz gibt, die auf verwandte Vorgänge anspielen. Bernhard Hertzog, Chronicon Alsatiae, Edeisasser Cronik, Straßburg 1592, erzählt, die Bauern auf dem Wormser Gau hätten 1525 im Kloster Limburg an der Haardt (bei Dürkheim), wo viel guter, herrlicher Wein lag, übel gehaust, so daß sie nach der Niederlage „solche Reimen und Sprichwort" gemacht hätten:

Da ich einmal ein Kriegsmann was,
zu Limburg soff aus dem großen Faß,
zehen roter Gulden mein Irten was.
Der Teufel gesegne mir das.

Philipp Simonis berichtet in seiner Historischen Beschrei­bung aller Bischöfe zu Speyer von 1608 folgenden Spruch vom Trunk aus dem großen Faß der Kestenburg (Hambacher Schloß seit dem „Hambacher Fest" von 1832, bei Neustadt a.d.W.), den ein Bauer „in der Zech" erdichtet habe:

Einstmals, da ich ein Krieger was,
meins eignen Herren und Eids vergaß,
auch in gutem Wohn und Ehren saß,
da trank ich zu Kestenberg was,
guten Wein aus dem großen Faß.

Lieber, rat, wie bekam mir das.
Gleich dem Hund, da er ißt das Gras,
ein Ort und dreizehn Gulden die Irten was.
Der Teufel gesegen mir das.

Auch in diesen Versen wird demnach die verhängte Strafe als Preis der Zeche (Irte) genannt, wobei man wissen muß, daß ein Ort gleich ¼  Gulden ist.

Die Verlierer im Rheingau und in der Pfalz schlossen sich mit solchen Versen dem Urteil der Sieger an. Als Erzbischof Kardinal Albrecht von Brandenburg i.J. 1526 den Bürgern seiner Stadt Mainz als Denkmal des Sieges über Frankreich (in der Schlacht von Pavia 1525) und der Niederwerfung des Bauernaufruhrs in Deutschland zum Zeichen seiner väter­lichen Beschützermacht und Huld den Marktbrunnen vor dem Rathaus verehrte, ließ er den Bauer auf zwei Pfeiler­füllungen beziehungsreich abbilden. Auf Pfeiler II ist ein bärtiger, durch die Stulpenstiefel als Bauer gekennzeichne­ter Mann dargestellt, halbnackt zum Zeichen seiner Scham­losigkeit, in der Linken einen großen Geldbeutel emporhaltend, aus dem unten die Münzen herausfallen, auf der rechten Schulter eine Eule als Sinnbild der Bosheit. Auf Pfeiler l stürzt der Bauer, vom Wein und - wie man ergän­zen darf - von den Ideen der Freiheit benebelt, mit einem geraubten Hahn (als Sinnbild der Streitsucht, vielleicht auch der Brandstiftung) in der Rechten und einen Weinkrug in der Linken. Er stößt dabei im Fallen nicht nur zwei Wein­krüge, sondern mit den Füßen eine große, mit Wasser ge­füllte, Amphore um und zieht sich so selber die Strafe des Wassertrinkens, d. h. Gefängnisses, zu. Ein Totenkopf zwi­schen zwei Sanduhren und die Worte „O bedenk das End" über der Darstellung unterstrichen für das zur Marktzeit dort versammlete Volk die Lehre dieser Szenen.

Wie aber lautet unser Urteil, wenn wir die archivalischen Quellen jener Zeit sprechen lassen?

Halten wir uns zunächst an die äußeren Fakten! Der Auf­stand begann am Georgstag, dem 23. April, dem 1. Sonntag nach Ostern, 1525 zu Eltville, als die Bürger wie alljährlich ihre Harnische wiesen. An die 200 Personen schworen zusammen, um dem Rat Beschwerdeartikel zu überreichen. Die Unruhe ergreift das ganze Land. Die am 29. April im Rathaus zu Winkel versammelten 32 Schöffen und Räte aller Gemeinden arbeiten eine Liste von Forderungen und Be­schwerden in 29 Artikeln aus, die der Vitztum dem Dom­kapitel zur Bewilligung überbringt. Das Domkapitel wünscht 2 - 3 Tage Bedenkzeit.

Teil 2

Da ziehen die Ungeduldigsten am 2. Mai bewaffnet auf den Wacholder und veranlassen die gesamte Mannschaft des Rheingaus, ihnen mit dem Geschütz zu folgen. In strategisch geschützter Stellung will man von dort die erhobenen An­sprüche durchsetzen und trägt sie den Vertretern des Dom­kapitels und des Adels am 9. Mai vor. Friedrich von Greiffenclau erhebt Einwendungen gegen einzelne Artikel, läßt sich aber zum Hauptmann der Rheingauer Landschaft wählen. Die damals auf 31 Artikel vermehrten Forderungen müssen der erzbischöfliche Statthalter und das Domkapital am 19. Mai in Eltville verbrieten.

Die Artikel kreisen um zwei Hauptthemen: um die Einord­nung des bisher privilegierten Adels und der Geistlichkeit in die bürgerliche Gesellschaft und um die Stärkung der Selbstverwaltung und Milderung obrigkeitlicher Lasten. Am Anfang steht die Forderung nach Wahl eines Predigers, der die lautere evangelische Wahrheit sagt. Die Güter der Geist­lichkeit und des Adels sollen auch die bürgerlichen Lasten wie Steuern und Dienste mit tragen. Die Klöster sollen aus­sterben. Die vor allem an Geistliche bestehenden Renten­verpflichtungen sollen abgelöst werden oder unter bestimmten Bedingungen ganz wegfallen. Die Einwohner des Rhein­gaus darf man nur an ihrem Wohnort gerichtlich belangen. Sie sollen in Mainz und Bingen abgabenfrei kaufen und ver­kaufen, auch das Recht haben, ohne Behinderung der Main­zer, Bauholz und Bretter mit Flößen heranzuführen und da­mit zu handeln. Wasser, Weide und Wildfang sollen frei sein. Den Artikel über die Klöster setzten die Rheingauer so­gleich in die Tat um. Vor allem das benachbarte Eberbach hat die versammelte Landschaft ohne Entschädigung zu ver­pflegen. Das berühmte große Weinfaß von nahezu 100000 Liter wird zu fast zwei Dritteln ausgetrunken. Vom 20. bis 31. Mai müssen die Klöster Eberbach, Gottesthal, Johannisberg, Marienthal, Aulhausen und Eibingen urkundliche Ver­pflichtungen eingehen, die sie zum Untergang verdammen. Das an der Landesfestung des Gebücks gelegene Tiefenthal soll sogleich aufgehoben werden.

Der Aufstand der Rheingauer trug dazu bei, daß auch in Bingen, Kastei, Hochheim und Wiesbaden Unruhen aus­brachen. Die Rheingauer standen ihrerseits unter dem Ein­fluß der vorangehenden Empörung im übrigen Deutschland. Der Bauernkrieg brach Anfang Februar 1525 in den an die Schweiz grenzenden Gebieten Süddeutschlands aus. Zwi­schen dem 27. Februar und 1. März entstanden in Memmin­gen die zwölf Artikel, die Mitte März gedruckt wurden. Die freimachende Lehre des Evangeliums wurde darin als ein unmittelbar in Wirtschaft und Politik zu verwirklichendes Grundrecht betrachtet. Am 26. März wurde das mainzische Oberstift von dem Aufstand erfaßt. Am 1. Mai muß der erzbischöfliche Statthalter in Aschaffenburg die 12 Artikel zugestehen und am 7. Mai im Miltenberger Vertrag mit dem gesamten Erzstift in den Bund des Neckartal-Odenwälder Bauernhaufens eintreten, der unter Führung des Götz von Berlichingen stand. Am 22. April bewilligt der Rat der Reichs­stadt Frankfurt die Forderung seiner Gemeinde in 45 Arti­keln. Sie werden durch Agitatoren und den Druck weiter ver­breitet. Am 25. April empört sich auch die Bürgerschaft der Stadt Mainz. Schon zwei Tage darauf geht das Domkapitel auf deren Forderungen in 31 Artikeln ein.

Der Aufstand im Rheingau ist ohne Zweifel durch diese äußeren Einflüsse ausgelöst worden. Er hat jedoch tiefe eigene Wurzeln. Der vor allem vom Weinbau und Weinhandel lebende volkreiche Gau war im ganzen relativ wohlhabend, aber auch krisenanfällig. Die hohen finanziellen Verpflich­tungen an die Geistlichkeit wurden um so mehr als drückend empfunden, da die kirchliche Autorität zu wanken begann. Schon in den 60er und 70er Jahren des 15. Jahrhunderts predigte Johann von Wesel auf der Wacholderheide über das Unrecht der Zehnten und trat gegen die verweltlichte hohe Geistlichkeit auf. Die evangelische Lehre Luthers mußte gerade in einem geistlichen Staat den Ruf nach Frei­heit und Reformen laut werden lassen. So legte etwa Caspar Hedio 1523 in seiner Predigt, wiederum auf der Wacholder­heide, das Evangelium in sozialem Sinne aus. Die Rheingauer besaßen zudem bedeutende Selbstverwaltungsrechte, die sie noch auszudehnen suchten. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts baute demgegenüber der Erzbischof und Kurfürst von Mainz zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben und zur Stärkung der Staatsmacht eine zentrale Verwaltung auf. Dadurch entstanden weitere Spannungen.

So sind die Artikel der Rheingauer weitgehend aus ihren landschaftlichen Interessen auf politischem und wirtschaft­lichem Gebiet verständlich. Aber zu einer Einheit wurden sie doch erst durch die Aufruhrwelle und die geistigen Ein­flüsse von außen. Die Idee der Freiheit, Gleichheit und Brü­derlichkeit steht auch hier dahinter. Nicht in Verhandlungen, sondern mit Gewalt hatte man auch hier seine Forderungen durchgesetzt. Auch im Rheingau erhielt die Bewegung da­durch eindeutig revolutionären Charakter, da eigenmächtige Bündnisse nach Reichsrecht als Verschwörung (coniuratio) anzusehen waren und der Täter damit ohne weiteres der Reichsacht verfiel. Ebenso war die ideologische Basis frag­lich. Die evangelische Freiheit, wie sie Luther meinte, war nichts anderes als die autonome Bindung des Gewissens und keine politische Freiheit des „Fleisches". Die konfes­sionellen Gegner: der evangelische Landgraf von Hessen und der katholische bayerische Herzog bildeten daher eine Aktionseinheit in der Verteidigung der Obrigkeit; der baye­rische Kanzler war das geistige Haupt des Schwäbischen Bundes, der sich die Niederwerfung der Empörung zur Auf­gabe machte. Die Niederlage der Bauern in Süddeutschland, Thüringen, Franken und in der Pfalz wurde auch dem Rhein­gau zum Schicksal.

Am 11. Juni 1525 forderte der oberste Feldhauptmann des Schwäbischen Bundes, Lorenz Truchseß von Waldburg, die Rheingauer auf, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Durchführung übertrug er immerhin einem Angehörigen des Erzstifts, dem Hauptmann und Mainzer Hofmeister Frowin von Hütten. Am 27. Juni wurde der Unterwerfungs­vertrag in 17 Artikeln abgeschlossen. Die Rheingauer ver­pflichteten sich zu 15000 Gulden Kriegskosten und zur völ­ligen Entwaffnung. Nicht nur die neuen Gesetze, sondern auch die bestehenden Gemeindeorgane in Gericht und Rat wurden aufgehoben. Am 12. Juli nahm Frowin von Hütten mit 300 Reisigen auf dem Feld zwischen Eltville und Stein­heim die Unterwerfung entgegen. Neun Rädelsführer wur­den zwei Tage darauf in Eltville enthauptet. Es ist jedoch nicht so, als ob durch den Bauernkrieg die Verfassung des Rheingaus ganz vernichtet worden wäre. Das korporative Leben der Landschaft bei der Steuerbewil­ligung ging nicht unter. Aber der Primat der obrigkeitlichen Gewalt war entschieden. Sie äußerte sich im Rheingau schon in der kurfürstlichen Landesordnung vom 3. Januar 1527 mit seinen 57 Artikeln. Die Regierenden haben aus dem Auf­stand von 1525 gelernt. Es begann die Zeit des Wohlfahrts­staates, der fürsorglich alles zu regeln suchte. Das Freiheit­lich-Demokratische war freilich in Verruf geraten. Erst in der Französischen Revolution sollte die Forderung nach den Menschenrechten Weltgeschichte machen.